Andere Namen, andere Orte - Menschen flüchten um ihr Leben und niemand will sie aufnehmen. Vor Kriegsbeginn 1939 reisten über 900 jüdische Flüchtlinge auf dem Schiff St. Louis aus Deutschland aus. Viele von ihnen hatten schon die Grauen der KZ´s erlebt. Die Kinder an Bord spielten nach den Erinnerungen des Kapitäns Gustav Schröder nicht "Verstecken" oder "Fangen", sondern "Juden haben keinen Zutritt".
Sie lagen schon im Hafen von Havanna und in einem US-Hafen in Florida, doch sie mussten zurück aufs Meer, zurück nach Europa, zurück zu ihren grausamen Verfolgern. Gustav Schröder, der Kapitän, viele Politiker, Journalisten und Freunde der unglücklichen Passagiere konnten doch noch das Schlimmste, die Rückkehr nach Deutschland, abwenden. Holland, Belgien und Großbritannien ließen die unglücklichen Menschen in ihr Land. Dort wurden sie dann doch zum Teil Opfer des erbarmungslosen Hasses auf Juden und starben nach Beginn des Krieges in den KZ´s und Vernichtungslagern.
Amerika änderte seine Meinung und die wenigen Überlebenden durften doch noch kommen, als die Gefahr vorüber war. Viele Jahrzehnte später trafen die Überlebenden den letzten Verwandten des Kapitäns Gustav Schröder.
Dieser mutige Kapitän war nicht gleichgültig, sondern Mensch geblieben und hatte Mitleid nach dem biblischen Wort: was ihr dem Geringsten unter euch tut, das tut ihr für mich. Schröder verstand sich als Team-Player und war fest entschlossen, die ihm anvertrauten Passagiere sicher außerhalb Deutschlands an Land zu bringen. Sein Plan B sah vor, das Schiff vor England auf Grund zu setzen, um so die Aufnahme der Flüchtlinge als Schiffbrüchige zu erzwingen.
Als die Überlebenden in den neunziger Jahren in New York den Kapitän Schröder über alles lobten, tat der bescheidene Neffe Rudolf Schröder die Zivilcourage als Selbstverständlichkeit ab. Doch die ehemaligen Flüchtlinge und Todeskandidaten der Nazis widersprachen Schröder-Junior: "Ohne Gustav Schröder wären wir alle hier nicht mehr hier."
In Erinnerung an die Zivilcourage eines deutschen Helden angesichts von Hass auf Menschen, die anders sind, und angesichts von allgemeiner Gleichgültigkeit möchte ich an dieser Stelle die Erinnerungen des Kapitäns an diese Reise von Florida nach Auschwitz veröffentlichen. Denn Hass auf andere und Gleichgültigkeit gegenüber Flüchtlingen sind heute fast achtzig Jahre später immer noch verbreitet. Zum Glück ist die Mehrheit der Menschen noch einigermaßen besonnen und hat Mitleid. Diese Veröffentlichung ist daher auch ein Weckruf zu Besonnenheit und Mitleid und Zivilcourage, gerade jetzt, wo überall in Europa und in Deutschland Angst zu Hass, Gewalt und Gleichgültigkeit verführen. Angst war, ist und wird immer ein schlechter Ratgeber sein.
Der Kapitän schrieb diese Erinnerungen 10 Jahre nach den Ereignissen nieder, als der Krieg und die Nazi-Herrschaft zu Ende waren. Sein Büchlein ist 1949 im Becherdruck-Verlag in Berlin erschienen. Es scheint keinen Becher-Verlag mehr und auch keine Verwandten von Gustav Schröder zu geben. Daher habe ich mich entschlossen, diese Erinnerung auf eigene Faust als Dokument der Zeitgeschichte wieder zu veröffentlichen.
Falls trotz meiner Nachforschungen doch noch ein Rechtsnachfolger für dieses Dokument leben sollte, so bitte ich freundlich um Kontaktaufnahme und erkläre vorab meine volle Bereitschaft, die vorhandenen Eigentumsrechte des Rechtsnachfolgers zu respektieren.