Gabor Steingart über Führung oder die Weisheit der Herde

Der Erfinder des Handelblatt Morning Briefing Gabor Steingart hat sich zuletzt auf der Pferdeweide nach Führungsqualitäten umgeschaut. Im Podcast mit Linda Weritz, Tierpsychologin oder Sozialarbeiterin für (schwierige) Pferde geht es darum, ob wir Menschen von den Führungsqualitäten der Leitstuten oder Leithengste lernen können. Und ob!

So wie Schafe, Rentiere und Menschen sind Pferde soziale Geschöpfe. Sie brauchen einander. Die Herde ist die Lebensversicherung gegen Räuber. Jedes einzelne Pferde ist eine einmalige Kreatur und lebt diese Individualität auch aus. Soweit es die Herde zulässt. Doch viel größer als das Merkmal der Individualität ist die Sehnsucht nach Sicherheit, Zusammenhalt und überschaubare Strukturen.

Abgehängt zu werden, ist für das Pferd, aber auch den Menschen, die Höchststrafe. Evolutionär bedingt bedeutet die Herde = Schutz (wahrscheinlich wird ein anderer gefressen), Einsamkeit = Todesgefahr. Deshalb kriecht die Angst in eine Gesellschaft, in der immer mehr Menschen alleine leben und in der Einkommensunterschiede so weit auseinderlaufen, dass sich immer mehr Menschen abgehängt fühlen. Eine holländische Studie über Lottogewinner rechnet vor: die Lotto-Verlierer sind die Nachbarn des Lottogewinners. Sie fühlen sich abgehängt und neigen zu Panikkäufen, z.B. von teuren BMWs.

Angst wiederum fährt bei Menschen und Tieren die intellektuellen Möglichkeiten herunter (Großhirn wird ausgeknipst). Das archaische Stammhirn übernimmt das Denken, obwohl es außer Angriff, Flucht oder Stillstand nicht denken kann.

Im Podcast verdichtet Steingart die geforderten Führungsqualitäten des 20. Jahrhunderts auf “Hoppla, jetzt komm ich” und “Basta, ich habe das letzte Wort”. Führung in der Herde (und des 21. Jahrhunderts) verlangt jedoch auch soziale Kompetenz und vorausschauendes Verhalten, weshalb meistens Leitstuten die Herde führen. Nur in der Gefahr haben die Hengste situativ Führungsverantwortung und verteidigen die Herde. Bei den Rentieren haben 11 Monate lang die Frauen die Hosen an. Während der Brunftzeit hingegen lassen sie sich führen.

Die Führung und der Umgang mit Tieren mache Menschen zu besseren Menschen, so die Tierpsychologin Linda Weritz in Steingarts Podcast. Denn die Tiere spiegeln das eigene Verhalten und zwingen so zur Selbstreflexion. Ein Chef, der viel Druck/Stress macht, wird die Schafherde nicht in das Gatter führen. Er treibt sie immer wieder in panische Flucht. Allerdings liegen Ursache und Wirkung deutlich auf der Hand, so dass die Lernkurve sehr steil ist. Wer will schon eine Schafherde immer wieder zu Fuß einfangen.

Pferde und andere Fluchttiere sind evolutionsbedingt sehr sensibel und realisieren schnell, ob jemand tatsächlich weiß, wo es zu einem sicheren Ort mit frischem Futter lang geht, oder ob er/sie nur blendet. Die ganzen menschlichen Ablenkungsmanöver wie Schönreden, tolles Auto… funktionieren bei Tieren nicht. Die sehen das Herz. Deshalb folgen Herden nur dann dem menschlichen “Führer”, wenn diese Person das Vertrauen weckt, dass er/sie die Pferde/Schafe… zu einer neuen sicheren Futterstelle führt. Man muss also als vorausschauend, positiv, nervenstark und souverän sein. So tun als ob reicht nicht.

Bei den Führungskräftetraining und Teambuildings von NatuerlichTeambuilding.de kann man das nicht nur mit einem einzelnen Pferd einüben, sondern mit Hunderten.

"Schafe Hüten nur für Schafe? " - Replik zu Professor Kanning (Uni Osnabrück)

Lieber Herr Professor,

Ihre lustige Polemik gegen Management Training mit Schafherden hat mich sehr angesprochen, weil ich solche Aktivitäten sehr erfolgreich durchführe. Siehe hierzu mehr unter http://www.natuerlichteambuilding.de.

Wer es geschafft hat, sein Team so zu koordinieren, dass 1.000 Schafe vorbei an allen möglichen Hindernissen und Ablenkungen von A nach B kommen, der wird auch in seinem Job als Führungskraft Erfolg haben.   

Ich habe den Eindruck, dass Ihre (einzige?) Quelle ein Morgenmagazin-Bericht über eines meiner Trainings ist.

Auf der Basis eines 5-minütigen TV-Berichts und Wikipedia-Wissen lässt sich schwerlich ein Urteil geben.

Vielleicht könnte man sich auf diesen Minimalkonsens einigen - der Schäfer versteht nichts vom wissenschaftlichem Arbeiten, der Professor nichts von Schafen.

Das Schafe Hüten sieht beim Schäfer nur so leicht aus, weil ein guter Hütehund 10 Schäfer ersetzt.

In diesem Punkt gebe ich Ihnen vollkommen Recht: diese Trainings machen mehr Spaß als die X-te Powerpoint-Präsentation zum Thema. Vor allem muss bei der Führung der Schafherde das getan werden, was beim gemeinsamen Powerpoint-Gucken nur gepredigt wird.

Welcher Mensch denkt immer logisch und agiert immer besonnen und vernünftig? Werden wesentliche Entscheidungen nicht oft aus dem Bauch heraus getroffen. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts, aber auch aktuelle Debatten über Migration oder Hetzjagden auf Deutschlands Plätzen lassen fast nur den ernüchternden Schluss zu: Menschen besonders im Kollektiv sind oft nicht überwiegend Vernunft-getrieben, sondern neigen aus Ängstlichkeit zu extrem irrationalem und riskantem Verhalten. Ein bisschen Angst vor dem Erzfeind und patriotisch-fromme Sprüche haben vor nicht einmal 100 Jahren Millionen Europäer dazu gebracht, wie dumme Schafe in den Fleischwolf der Schützengräben des Ersten Weltkriegs zu marschieren. Und der Lerneffekt hielt nicht nicht lange...

Beim Schafherden führen drängen sich deutliche Analogien zu menschlichem Verhalten auf. Wer Herdentrieb googlet, fischt eine Menge wissenschaftlicher Studien zum Thema - gerade auch im Finanz- und Bankenbereich. Studien aus dem Umfeld von IWF oder EZB zur globalen Finanzkrise machen deutlich: auch die Investoren waren von Gier und dem Herdeninstinkt getrieben und rannten wie eine blöde Herde auf den Abgrund zu. Einzelne Außenseiter, die vor einem Irrweg gewarnt haben, wurden vom Hof gejagt.

Deshalb hat sich auch das Pferde-gestützte Management-Training durchgesetzt. So wie Pferde reagieren Schafe völlig authentisch und ungeschminkt auf den menschlichen Führungsanspruch. Sie kennen keine Bauchpinselei und folgen nur, wenn sie innere Entschlossenheit und Stärke spüren und überzeugt sind: diese Person kann mich auf grüne Auen führen. Einziges Problem: ein Pferd wiegt eine halbe Tonne und kann seinen Leader auch tot treten, während ein Schaf sich im harmlosen zweistelligen Kilobereich bewegt. Außerdem ist es deutlich aufregender, tausend Schafe zu führen als ein einzelnes Pferd.

Zu guter letzt eine Literaturempfehlung: der weltweit führende Tierverhaltensforscher Norbert Sachser von Ihrer Nachbaruni in Münster, revolutioniert in seinem aktuellen Buch (2018) "Der Mensch im Tier. Warum Tiere uns im Denken, Fühlen und Verhalten oft so ähnlich sind" unser Tierbild und weist nach: Tiere denken, fühlen, handeln wie Menschen und umgekehrt.

Morgenmagazin - Schafe Hüten im Westerwald: zwei Paar Socken und aufmüpfige Mitarbeiter

Eben läuft im Morgenmagazin eine Reportage mit Peter Sonnenberg über ein Führungskräftetraining der besonderen Art: 600 Schafe Hüten im Westerwald. Als Seminarleiter Hape fungiere ich, Desiree und Peter wechseln sich bei der Führung der Herde ab und Anton, die Ziege, mimt den aufmüpfigen Mitarbeiter und macht Stress. Schnell verschmelzen Moma-Reporter und das Team der Kinderdorf-Leiterinnen zu einem Team. Sonst würden sich die Schafe in die Büsche machen. Peter bemerkt auch wie einsam es an der Spitze ist. Mit 600 Schafen, die ihm folgen. Dieses Mal geht alles gut. Danke Peter, danke Moma-Filmcrew und Desiree und Truppe für die Spitzenleistung. Mein herzlicher Dank geht auch auch an den ungenannten Schäfer und Anton, die Ziege für die Hilfestellung. Die zwei Paar Socken sollte man jedoch wirklich gleichzeitig überziehen. Denn der Westerwald kennt nicht nur Sonnentag.

Leadership Offroad Course - with 600 Sheep

either 600 sheep follow you or you are the follower - this leadership offroad course with 600 sheep is teaching everything about leadership and is available for free for journalists and bloggers in the upcoming week, Wednesday October 18th. Location is the Westerwald near Bonn.

The big herd functions like a group of humans - the sheep need leadership, some pressure, communication. The decisive difference: the animals are brutally honest - the leadership effectiveness is immediately visible: they follow you or do their own thing openly, not hidden like in the office. Everybody will understand the meaning of this old shepherd's saying: if you follow the herd, don't be surprised to be surrounded by assholes.

Here you can get some first impressions from previous events: www.natuerlichteambuilding.de/

There will be no costs other than your own travel. Start is 9 am. There is no bad weather, just bad clothing. Only a few places are available for this highly exciting and inspiring event. Please send a short mail to the organizer under spitzenplatz@gmail.com and write about your motivation to join the unique experience.

The participants only need a normal degree physical fitness (being able to walk half a day through the woods), ankle-high shoes and two pairs of woolen socks.

Management Trainer, Hans-Peter Etzold, has developed a training which enables the participants to get the 600 animals under control within 3 hours. After a bumpy start most of the participants feel after some time like the born leaders and take important lessons and impressions that can be transferred to everyday life in the office and in the family.

Bewerbung läuft: Offroad Leadership mit 600 Schafen: 18.10. bei Bonn

entweder 600 Schafe folgen einem oder man läuft der Herde hinterher - wer will kann mit ein bisschen Glück Leadership hautnah im Westerwald erleben.

Die Großherde tickt wie wir Menschen - sie braucht Ansprache, Druck, Führung - der entscheidende Unterschied: die Tiere sind brutal ehrlich - das Ergebnis der eigenen Führungsfähigkeiten ist anders als im Unternehmen oder der Familie sofort sichtbar.

Hier findet man schon einmal erste Impressionen: www.natuerlichteambuilding.de/

Zur Teilnahme an diesem Erlebnis sind Journalisten und Blogger einladen. Es entstehen keine Kosten außer der eigenen Anfahrt. Ort ist der Westerwald Nähe Bonn, Beginn ca. 10 Uhr bei fast jedem Wetter.

Für dieses hoch spannende und inspirierende Event sind jedoch nur wenige Plätze verfügbar. Um eine kurze Mail, warum die Bewerberin/Bewerber teilnehmen möchten, auf wird gebeten.

Die Teilnehmenden brauchen nur etwas Trittfestigkeit, Kondition, knöchelhohe Schuhe und zwei Paar Wollsocken.

Management Trainer, Hans-Peter Etzold, hat ein Training entwickelt, wie die Teilnehmenden innerhalb von 3 Stunden die 600 Tiere in den Griff bekommen. Nach einem holprigen Start fühlen sich die meisten Teilnehmenden schnell wie die geborenen Leader und nehmen wichtige unvergessliche Lektionen und Eindrücke mit, die sich 1:1 auf den Alltag im Büro und in Familie übertragen lassen.

Better together Europe! - Posterwettbewerb: Vorwählen

Better im Team Europe

Im Team ist vieles möglich, was einzelnen unmöglich ist. So funktioniert auch Europa. Holland, Frankreich und Deutschland sind einzeln schwach, doch zusammen können sie den Großen dieser Welt China, Russland und USA etwas entgegensetzen.

Ein Posterwettbewerb soll dies im europäischen Superwahljahr deutlich machen. Wähle aus, welches pro-europäische Poster dir am besten gefällt. https://www.freelancer.com/contest/poll-OTQxMjExOjE=

Europa hat Frieden, Wohlstand und Freiheit gebracht. Wir wissen gar nicht mehr, wo wir unsere Autos hinstellen sollen. Niemand leidet mehr an Hunger. Sehr sehr viele Menschen leiden und sterben inzwischen an Wohlstandskrankheiten: Diabetes, Adipositas, Herz-Kreislauferkrankungen... Doch die Nationalisten Deutschlands, Hollands und Frankreichs wollen zurück zur "guten alten Zeit". Die gab es jedoch nie. Der Nationalismus in Europa hat Millionen Menschenleben gekostet. 

Natürlich ist Europa ein mühsames graues Geschäft so wie Teamwork eben auch komplizierter ist, als wenn jeder erfolglos vor sich hinwurstelt: Sitzungen, Sitzfleisch, Hickhack in Brüssel - so sieht Europa auch aus. Doch die Nationalisten haben keine Alternative außer einem Sprung in der Schüssel. 

Nationalismus ist wieder im Trend. Es gibt bunte Käppis, Fahnen und ein aufgeregtes Alpha-Männchen brüllt: Make blabla great again! Und viele Otto Normaburgers jubeln, weil sie sich plötzlich wie die Überottos fühlen. Denn plötzlich ist irgendein Sündenbock an allem schuld: very bad hombres, die Moslems...

Irgendwann ist der Rausch wieder vorbei, weil die Welt nicht so einfach ist und der Sündenbock eben nur eine billige Ausrede ist. Bevor man sich um den Splitter im Auge des andern kümmert, sollte man mal nach dem Balken im eigenen Gesicht, sprich den hausgemachten Problemen, suchen. Die Geldsäcke haben sich dann längst wieder aus dem Staub gemacht und liegen in der Sonne, die Otto Normalbürger und Joe Sixpacks liegen dagegen in den Leichensäcken. 

Europa hat nach 1945 die Lektion gelernt. Doch die Dämonen von Nationalismus und Hass kriechen wieder aus dem Leichenkeller hoch. In den bevorstehenden Wahlen in Europa kommt es daher auf jede Stimme für Europa an.

 

 

 

Auf der Flucht: von Königswalde nach Miami - Sara Cohn zum 150. Geburtstag

Vor 150 Jahren, am 25. Februar 1866, wurde Sara Cohn in Königswalde geboren. 1939, im Alter von 73 Jahren, wurde sie mit 900 anderen jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland plötzlich zum Spielball der Weltpolitik. Ihr Flüchtlingsschiff war im Sommer 1939 mitten auf dem Atlantik heimatlos geworden. Kein Land wollte die Flüchtlinge aufnehmen und die Passagiere wollten lieber in der Nordsee ertrinken als zurück nach Nazi-Deutschland. 

Am 13. Mai 1939 war es in Hamburg losgegangen.  Gustav Schröder, der Kapitän des Hapag-Passagierschiffes St. Louis, berichtete später in seinen Erinnerungen, er habe noch nie so ein trübe Stimmung beim Ablegen erlebt.

Flucht aus Deutschland am 13. Mai 1939

 

Das Schiff nahm Kurs auf Kuba. Doch schon vor der Abfahrt waren Gerüchte im Umlauf, dass Kuba die Einreise verweigern würde. Deutsche Emissäre hatten angeblich antisemitische Stimmungen in der Bevölkerung angeheizt.

Kapitän Gustav Schröder wurde zum deutschen Helden und guten Hirten der Flüchtlinge. Zuerst verklagte er die kubanische Regierung, dann versucht er eine heimliche Landung vor der Küste Miamis. Doch die US-Küstenwache vereitelte diesen Plan.

Nun war Kapitän Schröder mit über 900 Passagieren an Bord auf dem offenen Meer. Eine Rückkehr nach Deutschland war unmöglich. Die jüdischen Flüchtlinge hatten zum Teil bereits KZ hinter sich und drohten damit, die Nordsee zu ihrem Massengrab zu machen. Doch niemand wollte helfen und die Grenzen öffnen.

Der Kapitän erwies sich nun als Team-Player. Einerseits wählte er ein Bord- und Seelsorge-Komitee, das sich um die Passagiere kümmerte, andererseits feuerten er und weitere Passagiere Telegramme aus allen Rohren, um mit Hilfe der Öffentlichkeit, der Politik und Schiffseigner Hapag ein Asylland für die Flüchtlinge zu finden. Plan B war es, das Schiff vor England auf Grund laufen zu lassen, so dass die Flüchtlinge als Schiffbrüchige in England unterkommen könnten.

Unglück im Glück war es, dass sich statt dessen im letzten Moment Belgien, Holland, Frankreich und England erbarmten und jeweils ein Viertel der Passagiere aufnahmen. So hatten die Passagiere am 17. Juni 1939 in Antwerpen erst einmal wieder festen Boden unter den Füßen, doch drei Viertel von Ihnen waren mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wieder ihren deutschen Verfolgern ausgeliefert. Einige konnten sich verstecken und flüchten, viele wurden nach Auschwitz verschleppt und ermordet. 

Sara Cohn hatte das Glück, nach England geschickt zu werden. Danach emigrierte sie in die USA. Dort verlieren sich ihre Spuren.

Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich. Immer wieder geraten Menschen in die Knochenmühle der Politik und müssen flüchten und niemand will sie haben.



Von Florida nach Auschwitz - oder: Heimatlos auf hoher See (Gustav Schröder 1949, Kapitel 7 - Ende)

Sorgenvolle Tage

Inmitten all der Hoffnungslosigkeit erwies sich die Zusammenarbeit mit dem Bord-Komitee als äußerst wertvoll. Durch den Hinzutritt der Herren S. Gutmann und Dr. Ernst Vendig hatte es neuen Auftrieb erhalten. Ich glaube kaum, dass ich dem damaligen Nervenkrieg an Bord ohne unsere täglichen Besprechungen gewachsen geblieben wäre. Wir schickten jeden Tag mehrere Telegramme nach Hamburg, um der Direktion die Krisenstimmung auf dem Schiff klarzulegen und um endlich aus unserer Irrfahrt herauszukommen. Der Wortlaut wurde in deutscher Sprache aufgesetzt. Nachts übersetzte ich ihn ins Englische, da unser Privatcode in dieser Sprache verfasst war, und dann kam noch das Chiffrieren. So verstrichen die düsteren Nächte, in denen ich doch nicht hätte schlafen können.

Außer dem Bord-Komitee gab es noch ein von Herrn Gustav Weil gebildetes Seelsorgekomitee, das die Aufgabe hatte, bei den zahlreichen Nervenzusammenbrüchen Beistand zu leisten. Die Ärzte hatten genügend andere Patienten. Sie brachten die ganz verzweifelten Gemüter zu mir, und wenn kein Trostzuspruch mehr half, musste eben zu einer Notlüge gegriffen und eine Landung in England versprochen werden. Herr Weil und ich sind bei dieser Zusammenarbeit Freunde geworden. Ich entsinne mich auch, dass in diesen Tagen Herr Leo Haas und seine Gattin bei mir waren. Die Worte der feinen Frau klingen mir noch in den Ohren: “Herr Kapitän, Sie wissen doch, wir können gar nicht zurückkehren. Alles haben wir dort verloren und das KZ wird unser Ende sein, das KZ oder … die Nordsee. Wenn Sie mit dem Schiff heil bis Cuxhaven hineinkommen, dürften Sie wohl etwa hundert Kabinen leer vorfinden, denn wir fürchten das KZ mehr als den Tod.” Ähnliches sagten mir auch andere.

Es waren auch einige Männer bei mir, die im KZ gesessen hatten. Als ich sie bat, ihre Erlebnisse zu schildern, schauten sie sich um, als ob sie Horcher fürchteten, worauf ich einwarf, ob es denn verboten sei, darüber zu sprechen. Sie sahen mich verlegen an und schwiegen. Dann sagte aber einer von ihnen: “Lieber Kapitän, ich wage tatsächlich nicht darüber zu sprechen, denn wer weiß, was uns noch bevorsteht. Aber Sie können mir glauben, lieber tot, als das noch einmal. In ihren Augen war eine furchtbare Angst vor der Rückkehr dorthin zu lesen, aber nicht minder eine feste Entschlossenheit, alles für die Rettung einzusetzen. Wer einmal mit Verständnis in solch verzweifelte Augen geblickt hat, vergisst es nicht.

Nun wunderte es mich auch gar nicht, als mir ein besorgtes Ehepaar, das mit seinen Kindern an Bord war, ein unten im Schiff tagendes Sabotage-Komitee verriet. Sie hatten es belauscht, als ein Plan besprochen wurde, in der Nordsee eine Katastrophe herbeizuführen. Man neige dazu, das Schiff in Brand zu stecken, aber es ständen noch andere früher durchzuführende Unternehmungen zur Diskussion, z.B. eine Meuterei. Im Augenblick konnte ich nichts weiter tun, als ihnen den Rat zu geben, ein Anti-Sabotage-Komitee zu gründen, um die Brandstifter zu kontrollieren, mit denen ich gerne selbst ein ernstes Wort gesprochen hätte, aber sie witterten den Verrat und gaben sich keine Blöße mehr. Es blieb mir nichts anderes übrig, als die Brücke in Verteidigungszustand zu setzen und überall im Schiff scharfe Kontrolle auszuüben.

 

Die Krisis

An dem Morgen des Tages, an dem mittags der bewusste Punkt erreicht werden sollte, erwachte ich bei Sonnenaufgang in meinem Ledersessel sitzend. Ich musste gegen vier Uhr nach Erledigung der Telegramme fest eingeschlafen sein. Leider war es nicht ein Traum, dass ich mit neunhundert verzweifelten Passagieren, die kein Land auf der ganzen Welt aufnehmen wollte, mitten auf dem Atlantik herumfuhr. Und ich empfand ein Unbehagen, als mir klar wurde, dass ich die Disziplin nicht mehr mit der Hoffnung auf eine Landung im Westen aufrecht erhalten konnte. Ich hatte jetzt die traurige Pflicht, meinen Passagieren reinen Wein einzuschenken über die Aussichtslosigkeit einer Landung in Amerika, die durch während der letzten Nacht eingelaufene Telegramme endgültig feststand. Auch im Osten blieb die Aufnahmebereitschaft aus. Von New York kam folgende Nachricht: “Wir bedauern...Betrachten aber die Antwort des Joint Committee als zutreffend.”

Die Antwort lautete: “Wir tun alles Menschenmögliche, um euch zu helfen. Wir bitten Euch, den Mut aufrecht zu erhalten und versichert zu sein, dass alle unsere Organisationen hier und im Auslande Tag und Nacht jede Minute für euch arbeiten.”

Ich wusste, dass niemand mehr Notiz von diesen Telegrammen nehmen, sondern ebenso wie ich nur die endgültige Absage Amerikas darin erkennen werde, und dass heute ein kritischer Tag erster Ordnung bevorstand. Nach einem kurzen Besuch auf der Kommandobrücke, um den Kurs auf den Englischen Kanal einsteuern zu lassen, ging ich durchs Schiff. Überall roch es nach Verzweiflung und Panik, überall trafen mich fragende Blicke. Vor dem Speisesaal begegnete ich zwei Herren vom Komitee, Dr. Joseph und Dr. Zellner, die auch keine Ruhe mehr fanden. Ich übergab ihnen die Telegramme mit den Worten: “Vom Westen nichts mehr zu hoffen. Ich bitte das Komitee um zehn Uhr zu mir.” Dr. Joseph antwortete mit: “Wie sag ichs meinem Kinde?” und Dr. Zellner setzte hinzu: “Kapitän, ich bin kein Feigling, aber vor der Fahrt durch die Nordsee habe ich direkt Angst!”. Ganz leise sagte ich ihm ins Ohr: “Ich auch!” Aber im Weitergehen kam mir mit solcher Plötzlichkeit ein rettender Gedanke, dass ich unwillkürlich stehen blieb. Ein Plan fiel mir ein, der gleich ausgearbeitet werden musste.

Der Erste Offizier schlief noch. Er hatte am Abend zuvor lange Dienst gehabt. Also ging ich zum leitenden Ingenieur, einem Frühaufsteher, der gerade beim Morgenkaffee saß. Ich kam bei ihm an die richtige Adresse. Auf meinen Wunsch hin gab er gleich durch das Telefon seinem Wachhabenden die Order, auf volle Umdrehungen zu gehen, woran noch einige fehlten. Dann nahm ich den Hörer, um den Wachhabenden auf der Brücke von den erhöhten Umdrehungen zu benachrichtigen. Daraufhin konnten wir in aller Ruhe meinen Plan besprechen.

Wenn uns keine Landung außerhalb Deutschland erlaubt werden würde, wollten wir -  um die in der Nordsee zu erwartende Katastrophe zu verhindern - das Schiff an der Südküste von England bei Nacht oder Nebel und bei Ebbe ganz sanft auf den sandigen Strand setzen, eine Motorhavarie vortäuschen, einen großen Schiffsbrand markieren udn alle Passagiere mit den Booten landen. Das Feuer würden wir dann “heldenmütig” selbst löschen. Nach Abstransport der Schiffbrüchigen könnten wir später mit Schlepperhilfe wieder freikommen, bei Flut nämlich. Der Motorschaden könnte durch Selbsthilfe behoben werden. Pro forma müssten wir eben mit einem Motor fahren und nach der Entlassung durch die Schlepper würde - auf der Fahrt zum “Nothafen” - telegraphische Verabschiedung erfolgen. Einen Platz für das Manöver hatte ich mir schon ausgesucht. Es gab deren mehrere zwischen Plymouth und Dover.

Der Leitende Ingenieur gab mir noch manchen guten Rat bei der Ausarbeitung des Plans. Er hat darüber verabredungsgemäß anderen Menschen gegenüber nie ein Wort verloren, auch später nicht, als unser Täuschungsmanöver durch die Landung in Antwerpen überflüssig wurde. Doch auch wenn der Rettungspan nicht ausgeführt zu werden brauchte, mir gab er an diesem kritischen Tage die Besinnung, in Ruhe fertig zu werden mit dem, was folgte. Die zunehmende Nervosität auf dem Schiff trieb das Komitee schon vor zehn Uhr zu mir. Es musste inzwischen etwas von dem Abbruch der Beziehungen zur “Neuen Welt” durchgesickert sein. Während wir berieten, was zu tun sei, um die Passagiere zu beruhigen, erschien der Erste Offizier mit der Nachricht, dass im ganzen Schiff helle Aufregung herrsche, und dass man sich zusammentäte, um etwas zu unternehmen. Gleich darauf brachte ein Feuerwehrmann die Meldung, man sei schon unterwegs nach oben. “Das Sabotage-Komitee!” musste ich denken. Diesen verzweifelten jungen Männern war in der Erregung einiges zuzutrauen. Sie durften auf keinen Fall jetzt bis zu der im Verteidigungszustand befindlichen Brücke vordringen.

Was ich jetzt tat, tat ich instinktiv. Den Ersten Offizier bat ich beim Komitee zu bleiben und eilte dann zur Haupttreppe hinab. Die erregten Menschen kamen mir schon lärmend entgegen. Mit dem Ruf: “Halt, wohin wollen Sie?” stellt ich mich vor die Treppe, und tatsächlich, sie stutzten. Weiter vermochte ich aber mit meiner Stimme nicht durchzudringen. Ich wurde umringt. Alles schrie durcheinander. Es fielen Worte wie: “Wir wollen nicht zurück nach Europa!” “Wir zwingen ihn umzukehren!” “Wir stiften Brand!” Da kam mir einer der Männer aus der Menge zu Hilfe, indem er laut brüllte: “Ruhe, der Kapitän will reden!” Das wirkte. In das erwartungsvolle Schweigen hinein konnte ich jetzt mit gutem Gewissen versprechen, dass eine Landung in England schon irgendwie gemanaged werde, nur bat ich dringend, keinesfalls etwas Unüberlegtes zu unternehmen, um sich diese Chance nicht zu verderben. Die Angelegenheit musste aber noch zu einem erfolgreichen Abschluss kommen; so setzte ich sofort eine Vollversammlung in der großen Halle an und bat um Bekanntgabe der Zusammenkunft bei allen Passagieren. Diszipliniert richteten sich die eben noch so erregten Männer nach meiner Anweisung, und die Halle füllte sich.

Das Komitee atmete erleichtert auf, als ich zurückkam und über die glückliche Wendung berichtete. Einer der Herren sollte nun vor der Vollfversammlung eine wirksame Ansprache halten. Bisher hatte sich das Komitee - wohl auch mit Recht - von Vollversammlungen nichts versprochen. Zu diesem kritischen Zeitpunkt aber wurden sie notwendig.

Auf dem Weg zur Halle wechselten wir einige vertrauliche Worte und gleich darauf standen wir vor neunhundert im wahrsten Sinne des Wortes Heimatlosen. Dabei ergriff mich selbst ein Gefühl der Heimatlosigkeit. Mir war, als ob die ganze “St. Louis” von der Welt ausgestoßen sei und jetzt versuchen müsste, diesen ungastlichen Planeten zu verlassen; denn auf eine Anerkennung ihrer prosemitischen Haltung konnte die Besatzung des Schiffes bei der Regierung nicht rechnen. Aber gerade dieses Gefühl gab mir das volle Verständnis für die trostlose Lage meiner Passagiere und ließ mich die richtigen einleitenden Worte finden. Ich bat dann den Präsidenten des Komitees, Dr. Joseph, das Wort zu ergreifen, und er erfüllte seine Aufgabe wie eine Mission.

Noch heute bedauere ich, den Text dieser Stegreifrede nicht aufgeschrieben zu haben. Sie war inhaltlich und formell ein Meisterwerk. Dr. Joseph, pflanzte in alle Herzen Vertrauen und rief zu einer würdevollen Haltung auf: “Komme auch, was da kommen mag. Die ganze Welt schaut auf uns!” rief er. Und aus dem Verhalten der schwergeprüften Menschen konnte man in den nächsten Tagen schließen,  wie seine Worte gewirkt hatten.

 

Westeuropa erbarmt sich

Natürlich berichtete ich in einem verschlüsselten Telegramm den Vorfall nach Hamburg. Dort setzte sich jetzt gleichfalls die Überzeugung durch, dass eine Fahrt durch die Nordsee unverantworlich wäre, und dass nur eine Landung in Westeuropa die Emigranten noch retten könne. Die Hamburg-Amerika Linie leitete entsprechende Verhandlungen ein. Drei Tage später führten sie zu dem Angebot, eine Landung in Antwerpen vorzunehmen zwecks Verteilung der Emigranten auf England, Frankreich, Holland und Belgien. Die Hapag sandte uns ein sehr geschickt abgefasstes Telegramm, das schon auf die beabsichtigte Lösung hindeutete und den Fahrgästen nahelegte, Ruhe und Ordnung zu bewahren, damit die Landunsgmöglichkeiten nicht beinträchtigt würden.

Die gefasste Stimmen der Emigranten blieb durch Vollversammlungen aufrechterhalten.  Jeden Morgen trafen wir uns in der großen Halle. Nach drei Tagen gingen die endgültigen und positiven Nachrichten über das Anlaufen von Antwerpen ein. Wenn auch manche Passagiere durch die vielen Enttäuschungen misstrauisch geworden waren, so machte sich doch bald Entspannung und Zufriedenheit bemerkbar. Man sah wieder zuversichtliche Menschen und hörte Musik, die wochenlang unerwünscht war.

Die Landung in Antwerpen musste schnell vonstatten gehen, da die “St. Louis” jetzt doch noch in den Vergnügungsreisen-Fahrplan von New York einspringen sollte, von dem sie schon entbunden war. Mit vollen Umdrehungen und Windstärke 7 bis 8 von Achtern brausten wir ostwärts. In einem Telegramm nach Vlissingen verpflichtete ich mich, in zwei Tagen präzise um 9 Uhr dort zu sein.

Leider sollte aber auch dieser Endspurt nicht ohne tragischen Zwischenfall verlaufen. Mein bester Steurer, Kritsch mit Namen, wurde vermisst. Man hatte ihn zuletzt bei der Flaggleine auf dem Achterdeck gesehen. Nach gründlicher Durchsuchung des Schiffes fanden wir ihn schließlich in einem kleinen Abstellraum im Vorschiff, wo er seinem Leben selbst ein Ende gemacht hatte. Gott mag wissen, warum. Sein Tod bedeutete für die Hamburg-Amerika Linie und für mich einen unersetzlichen Verlust, denn einen zuverlässigeren Mensch gab es kaum. Der Gedanke an die grausame Endgültigkeit des Todes bedrückte mich zum dritten Mal auf dieser Reise.

Die einzigen, die in all den schweren Tagen unbekümmert blieben, waren die Kinder der Passagiere. Ja, sie freuten sich, länger an Bord bleiben zu können und nahmen ihr Schicksal höchstens spielerisch wichtig, indem sie ein Spiel mit dem Namen erfanden: “Juden haben keinen Zutritt.” An einer aus Stühlen hergestellten Barriere standen zwei Jungs mit strenger Amtsmiene und verhörten die Einlass begehrenden Kameraden. Ein kleiner Berliner, der an der Reihe war, wurde barsch gefragt: “Bist du ein Jude?” Als er dies kleinlaut bejahte, wiesen sie ihn streng zurück: “Juden haben keinen Zutritt!” - “Ach”, bat der Berliner Junge, “ lassen se mir man durch, ick bin doch  blos´n janz kleener.”

 

Emigrantenschicksal

Pünktlich trafen wir in Antwerpen ein dank dank des günstigen Wetters, dank des zuverlässigen technischen Betriebes des Schiffes und dank der vernünftigen Haltung der Besatzung, die eine Aufgabe gemeistert hatte, welche nicht nur Kraft und Ausdauer, sondern auch viel Takt und Geduld erforderte. Häufig wurde die Besatzung durch das Bord- und Seelsorger-Komitee entlastet. Diese Tatsache verdient besondere Erwähnung. Alle Hilfeleistungen hätten aber kaum etwas genutzt, wenn die Fahrgäste selbst nicht so zugänglich gewesen wären. Ihr dankbares Abschiednehmen vor der Landung in Antwerpen war rührend und bewegte mich tief und unvergesslich. Umso stärker empfinde ich deshalb auch die Trauer darüber, dass viele der Armen, die sich in Frankreich, Holland und Belgien in Sicherheit glaubten, später durch den wahnsinnigen Krieg doch noch in die Hände von Verbrechern fielen und umkamen. Der Gedanke, dass es Menschen gegeben hat, die erst im K.Z. waren, dann die Passionsfahrt der “St. Louis” mitmachten, um schließlich im K.Z. elendig zu verenden, ist mehr als bedrückend. Nur von wenigen der auf dem Festland untergebrachten Emigranten der “St. Louis” weiß ich, dass sie noch am Leben sind. Hierzu gehören: Dr. Ernst Vendig und Familie, Arthur Maschkowsky, Adolf Wolff und Familie, Leo Hass und Frau.

Mit folgenden Herren der England-Gruppe, die vollzählig gerettet worden ist, stehe ich noch in Verbindung: Gustav Weil, Dr. F. Kassel, Dr. F. Zellner.

 

Von den Flüchtlingserlebnissen der Familie Wolff und Vendig will ich noch berichten. Adolf Wolff war mit Frau und Tochter in Nordfrankreich und flüchtete beim deutschen Einmarsch unter schwierigsten Umständen unter großem Gedränge nach Marseille, wo es ihnen gelang, einer Internierung zu entgehen; aber 1942, als alle Juden gesucht wurden, blieb nichts anderes übrig als eine Flucht in die Schweiz. Dass dieses abenteuerliche Unternehmen glückte, kommt ihnen selbst noch immer unglaublich vor. Erst 1947 konnten sie nach Nordamerika fahren.

Dr. Ernst Vendig war mit seiner Frau und zwei Kindern und seiner siebzigjährigen Mutter in Brüssel, als der deutsche Einmarsch erfolgte. Er wurde interniert und kam, nachdem er zwölf verschiedene Lager kennengelernt hatte, zuletzt in die Gegend von Aix-en-Provence. Der erste Versuch seiner Familie, in seine Nähe zu kommen, blieb im Bombardement bei Dünkirchen stecken. Aber später gelang es trotz aller Schwierigkeiten. 1942 brachte auch hier den Beginn der Deportation aller Juden nach Polen. Die ganze Familie kam in ein Sammellager, wo sie sechs Wochen lang die Schrecken aller Abtransporte miterlebte. Einer an Wunder grenzenden Fügung verdanken sie es, dass sie verschont wurden und schließlich befreit wurden, so dass auch sie in die Schweiz flüchten konnten, wo sie nach langen Fußmärschen durch das Gebirge bei Verwandten Aufnahme fanden. Seit Mai 1946 sind sie in Nordamerika und haben sich dort, ebenso wie Familie Wolff, eine neue Existenz aufgebaut.

Von verschiedenen, besonders von Arthur Maschkowsky und Leo Haas, bin ich gefragt worden, wie das ganze überhaupt möglich war, und wer das Landungsverbot in Havanna erließ. Ich habe es nicht erfahren können und längst aufgegeben, es klarzustellen. Es liegt mir nicht, Schuldfragen zu klären, vielleicht leben die Menschen, die vom Schicksal ausersehen waren, eine entscheidende Rolle zu spielen, schon nicht mehr.

Ich muss da an einen alten Lehrer denken, der uns Schülern immer wieder Toleranz predigte. Er sagte nie ein böses Wort über einen Mitmenschen, nicht einmal über seine Widersacher. “Tragt euch gegenseitig nichts nach”, sagte er, “ein wirklich gebildeter Mensch tut das nicht. Wer etwas ausfrisst, bestraft sich selbst viel mehr, als andere es tun können.” In diesem Sinne lasse ich die Schuldfrage in Ehrfurcht auf sich beruhen. Wieviel schöner ist es da, von der Dankbarkeit zu reden, Dankbarkeit für alles Gute, das wir von anderen erfahren. So habe ich unzähligen Menschen zu danken, die mir halfen, unseren Passagieren auf der “St. Louis” das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Niemals aber möge die Mahnung vergessen werden, die das tragische Schicksal der schwergeprüften Passagiere des “Emigrantenschiffes” für die gesamte Menschheit bedeutet, damit sich Grausamkeit und Unmenschlichkeit, wo es auch immer sei, nie wieder breit machen können.

 

Dokumentenanhang

Hamburg-Amerika Linie

Die Cubanische Regierung zwingt uns den Hafen zu verlassen. Sie hat uns erlaubt, noch bis Morgen bei Tage hierzubleiben und es wird die Abfahrt hiermit auf 10 Uhr Freitag festgesetzt. Mit der Abfahrt sind die Verhandlungen keineswegs abgebrochen. Erst der durch Abfahrt des Schiffes herbeigeführte Zustand ist Vorbedingung für das Eingreifen der Mitarbeiter des Herrn Berenson und seiner Mitarbeiter.
Die Schiffsleitung bleibt in weiterer Verbindung mit sämtlichen jüdischen Organisationen und allen anderen amtlichen Stellen und wird mit allen Mitteln zu erreichen suchen, dass eine Landung außerhalb Deutschlands stattfindet und wir werden vorläufig in der Nähe der amerikanischen Küste bleiben. Kapitän, gez. Schröder

havanna still hopeful we expect definitive arrangements today - hapag new york 3639. Übersetzung: Havanna ist noch hoffnungsvoll. Wir erwarten heute endgültige Regelung.

die verhandlungen schreiten weiter fort - bitte telegraphieren sie den letzten möglichen augenblick an dem ihr proviant es ihnen erlaubt nach havanna oder st domingo zurückzukehren - hapag new york 7639

gemäß kabel aus new york wird jede mögliche bemühung durch warburg und zentral-komitee angestrengt um rückkehr nach europa zu vermeiden - hapag hamburg 8639

eure situation uns bekannt - versuchen alles unter mitwirkung einschlägiger ausländischer organisationen eine lösung zu finden - nachricht über ergebnis folgt - hilfsverein berlin 8639

herzliche grüsse - wir sind noch schwer an der arbeit - haltet eure hoffnungen aufrecht - joint havanna 8639

als europäischer vorsitzender des amerikanischen joint distribution committee möchte ich euch jede erdenkliche möglichkeit zusichern unterwegs einen hafen zu finden für die st louis passagiere der schon mit aussichten auf erfolg gefunden ist - wir hoffen in den nächsten 36 stunden definitives darüber zu erhalten - sagt den passagieren sie sollen hoffnung haben - morris o troper paris - 12 6 39

habe mit massgebenden leuten gesprochen - sie können vollkommen beruhigt sein dass alles denkbare versucht wird - max warburg new york 12 6 39

als ausschiffungshafen für alle passagiere ist definitiv antwerpen erklärt von wo aus dieselben nach den niederlanden belgien frankreich und england verteilt werden - hapag hamburg 18 6 39

Hamburg-Amerika Linie Vorstand

16. Juni 1939

Sehr geehrter Herr Kapitän Schröder!

Es ist dem Vorstand der Hamburg-Amerika Linie ein Bedürfnis, Ihnen bei Ankunft in Antwerpen mit diesen Zeilen unseren Dank auszusprechen, dass sie die “St. Louis” wohlbehalten zurückgebracht haben.

Die Aufgabe, die Ihnen und Ihrer Besatzung gestellt wurde, war nicht einfach. Der uns vorliegende Bericht des Zahlmeisters gibt ein anschauliches Bild Ihrer Ausreise und hat unseren vollen Beifall gefunden. Die Unmöglichkeit, die Passagiere in Cuba zu landen, stellte sie vor neue Aufgaben und aus Ihren Telegrammen haben wir mit Sorge Ihre Heimkehr nach Europa verfolgt. Wir beglückwünschen Sie, dass Sie es verstanden haben, das Schiff, Ihre Besatzung und Ihre Passagiere über die kritischen Tage hinwegzubringen und hoffen, dass Sie auf der Überfahrt nach New York neue Kräfte finden, die Vergnügungsreisen ab New York mit Erfolg durchzuführen.

Mit der Bitte unseren Dank und unsere Anerkennung auch Ihrer Mannschaft zum Ausdruck zu bringen, verbleiben wir

Hamburg- Amerika Linie

gez. Hoffmann - Holthusen



 

Dr. Ernst Vendig

69, rue des Aduatiques

Bruxelles

 

10. Juli 1939

 

Sehr geehrter Herr Kapitän!

Die überstürzt schnelle Ausbootung der Passagiere für Belgien am 17. Juni nahm mir leider die Möglichkeit, meine Absicht, mich bei Ihnen persönlich zu verabschieden, auszuführen. Ich konnte damals nur Herrn Dr. Joseph bitten, Ihnen, Herr Kapitän, meine besten Grüße und meinen Dank für all Ihr Bemühen um unser Schicksal auszusprechen, und Ihnen zugleich im Namen des Bord-Komitees und damit in dem meinen ein Erinnerungsbild an die denkwürdige Ausfahrt aus Habanna überreichen zu wollen.

Nachdem nun die Tage der äußeren und inneren Unruhe etwas gewichen sind und wir alle - die 200 Angehörigen der Belgischen St.-Louis-Gruppe - durch die dankenswerte und verständnisvolle Einstellung unserer neuen Heimat zu uns wieder einigermaßen festen Boden - im realen wie im symbolischen Sinne - unter den Füßen zu haben, ist es mir ein Bedürfnis, Ihnen einige Zeilen zu schreiben, von denen ich hoffe, dass sie Sie ehestens bei einem Zwischenaufenthalt in New York erreichen werden.

Vor allem möchte ich Ihnen meinen besten Dank für die schriftliche Anerkennung aussprechen, die Sie mir wie allen Herren des Bordkomitees für unsere selbstverständliche Betätigung im Interesse aller noch auf dem Schiff haben übermitteln lassen. Dieses Schreiben wird mir immer eine wertvolle Erinnerung bleiben an diese Tage, die bei aller Schwere doch dadurch leichter zu ertragen und zu überwinden waren, weil sie geeignet waren, den Glauben an die unzerstörbare Kraft der humanitären Idee, ein Glaube, der uns auf Grund der hinter uns liegenden Erfahrungen fast schon verloren gegangen war, wieder zurückzugeben.

In diesem Sinne bin ich Ihnen, sehr geehrter Herr Kapitän, zu ganz besonders tiefem Dank verbunden, denn Ihre Haltung - die die des ganzes Schiffes bestimmte - in diesen Tagen und Wochen gegenüber Menschen und gegenüber unserem besonderen Schicksal war für uns ein Kraftquell ganz seltener Art. Sie haben es verstanden, mit dem tiefen Verständnis für unsere Lage zugleich ein solches Feingefühl in der Behandlung aller uns berührenden Fragen zu verbinden, dass wir wussten, Sie hatten in diesen Tagen unsere Sache zu der Ihren gemacht.

Das Ihnen nochmals zum Ausdruck zu bringen, sollte der Sinn meines heutigen Schreibens sein, und ich hoffe gerne, dass Sie dieser Brief in alter Frische antrifft, die Sie wieder zurückgewonnen haben, nachdem die Arbeit und Sorgen um uns und mit uns Ihnen seit Antwerpen genommen waren.

Ich darf mich Ihnen besten empfehlen und begrüße Sie mit aller Hochachtung

ergebenst Ernst Vendig  

Von Florida nach Auschwitz - oder: Heimatlos auf hoher See (Gustav Schröder 1949, Kapitel 5-6)

Wohin?

Und dann gingen wir in See. Zahlreiche Barkassen gaben uns das Geleit unter den ständigen Zurufen der Verwandten: “Verliert nicht den Mut!” - Aber viele verloren ihn doch. Ich selbst war auch deprimiert. Eine so melancholische Abfahrtstimmung hatte ich noch nie erlebt. Besonders unruhig waren die Frauen, weil eine Zielangabe fehlte. “Kapitän, wohin fahren Sie uns?” Und zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich diese Frage nicht beantworten. Aber in enger Zusammenarbeit mit dem Bord-Komitee unterließ ich nichts, um den unglücklichen Menschen eine Heimat zu verschaffen, hatte ich doch von der Hamburg-Amerika Linie den Auftrag, für die Fahrgäste alles zu tun, was in meiner Macht lag.

Ich kam sogar auf den Gedanken, eine illegale Landung an der Floridaküste zu versuchen. Klar zum Aussteigen waren die Passagiere jederzeit, dafür hatte ich durch entsprechende Rücksprache mit dem Bord-Komitee gesorgt. Und so ging es eines schönen Morgens in einen der kleinen Häfen hinein, um vorzufühlen, ob man schon mit einer solchen Möglichkeit rechnete und Gegenmaßnahmen traf. Aber wahrscheinlich war bereits einmal von einem anderen kleinen Emigrantenschiff etwas Derartiges unternommen worden, denn schon beim Einlaufen bemerkte ich, dass wir beobachtet wurden. Als der Ankerplatz erreicht war, kamen Küstenwachboote und Flugzeuge heran, um die Landung zu verhindern. Also manövrierte ich das Schiff aus dem Hafen heraus und fuhr weiter, ganz dicht unter Land, wieder südwestwärts in Richtung Havanna zur Beruhigung der Passagiere und auch, um sie etwas abzulenken.

Mittags, während im Speisesaal gegessen wurde, drehte ich von der Küste ab, bis das Land außer Sicht war und änderte den Kurs langsam auf Nordnordost, als die Sonne im Zenit stand; so konnte niemand etwas davon merken, dass wir uns wieder von Havanna entfernten, von wo uns noch immer Hoffnung auf eine Landung gemacht wurde. Aber ich selbst glaubte nicht mehr daran und versuchte uns unauffällig immer etwas weiter nach Norden zu mogeln, da sich in New York eine Chance aufzutun schien. Am Spätnachmittag allerdings , als die sinkende Sonne keinen Zweifel mehr ließ über unseren nördlichen Kurs, beunruhigten sich die Gemüter von neuem.

In diesen Tagen der Ungewissheit habe ich unter anderem ein von Herrn Manasse verfasstes Telegramm an die USA-Presse gestattet, das die Stimmung an Bord ungeschminkt zum Ausdruck brachte. Der Widerhall war eine Flut von Funksprüchen aus Havanna, New York, Hamburg und Gott weiß woher, die teils zum Warten, teils zum Umkehren aufforderten. Andere sprachen Mut zu und deuteten an, dass unentwegt an einer Lösung gearbeitet werde. Wir an Bord konnten lediglich ergebungsvoll unsere Köpfe schütteln und uns fragen, was wohl daran so viel zu arbeiten sei. Das ganze Problem konnte doch mit einem Federstrich gelöst werden. Eines der Telegramme verkündete eine behördlich genehmigte Landung auf der kubanischen Insel Pinosa. Die Unterschrift lautete: “Centro Israelita”. Wir stoppten und forderten offizielle Bestätigung. Zögernd kam die Nachricht, dass die Entscheidung noch nicht gefallen sei. Es wurde nichts daraus. - Ein langes Telegramm von dem Kanzler einer großen Loge forderte mich auf, nach New York zu kommen und auf der Reede zu ankern. Er werde mit einer Gruppe einflussreicher Amerikaner jede Summe, die nötig sei, bereithalten. Ein Appell an den amerikanischen Kongress sei beabsichtigt, um ein “zeitliches Asyl” für die “St. Louis”-Passagiere zu erbitten. Ich antwortete, er möge die benötigte Summe bei Hapag in New York deponieren. Auch hieraus wurde nichts.

Zurück?

Als die Aussichtslosigkeit einer Landung in Amerika immer klarer zu tage trat, blieb uns nichts anderes übrig, als eine beschleunigte Rückreise anzutreten. Die Bestände an Öl, Wasser und Proviant erlaubten uns kein weiteres Spazierenfahren. Bald kam auch von Hamburg aus die entsprechende Order. Bestimmungsort: Cuxhaven, was ich aber geheim hielt, da ich fest entschlossen war, dorthin nicht zurückzukehren. Eine Fahrt durch die Nordsee erschien mir im Hinblick auf die zur Verzweiflung neigende seelische Verfassung meiner Passagiere sehr gefährlich, wenn nicht undurchführbar. Mit Hilfe des Golfstromes und der dunklen Nächte hatte ich das Schiff schon bis zum Ausgang der Florida-Straße manövriert und beschloss nun zunächst, bis zu einem Punkt zu fahren, der gleich weit entfernt liegt von New York, Havanna und Haiti, um im Falle eines noch eintreffenden günstigen Bescheides nach einem dieser Orte möglichst schnell zurückkehren zu können. Der Punkt liegt in der Gegend von Bermuda. Gleichzeitig konzentrierte ich mein ganzes Denken auf eine Landung in England. ich entsinne mich auch, dass ich in jenen Tagen mit Bankier Warburg, New York, einen Telegrammwechsel hatte, ohne etwas Positives erfahren zu können.

Am 7. Juni lief folgendes Telegramm ein:

“Da die Landung in Kuba noch nicht entschieden ist, bemühen wir uns wieder um St. Domingo, wo Landung möglich, wenn das Geld zur Verfügung steht, das zur Einwanderung nötig ist.”

Auch dieser Plan schlug fehl, und allmählich wusste man nicht mehr, ob überhaupt noch eine Nachricht ernst zu nehmen sei.

 

Von Florida nach Auschwitz - oder: Heimatlos auf hoher See (Gustav Schröder 1949, Kapitel 3-4)

Die St. Louis auf dem Atlantik mit über 900 jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland, die niemand aufnehmen will.

Die St. Louis auf dem Atlantik mit über 900 jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland, die niemand aufnehmen will.

Das Landungsverbot
Als wir das Schiff verabredungsgemäß vor vier Uhr morgens an der Pier von Havanna festgemacht hatten und sofort mit der Ausschiffung begannen, um irgendwelchen Verboten zuvorzukommen, erschienen - wir trauten unseren Augen nicht - bewaffnete Männer in Uniform, zwangen die schon an Land befindlichen an Bord zurückzugehen und besetzten die Gangway. Es fehlte nicht viel daran, dass die Emigranten eine gewaltsame Landung unternommen hätten. Ihre Aufregung war sicher allzu begreiflich, denn hier handelte es sich ja schließlich um einen Staat, der sicher die deutsche Judengesetzgebung nicht billigte und der den Emigranten gegen Bezahlung einen vorübergehenden Aufenthalt in seiner Hauptstadt gestattet hatte. Nun wollte also dieser Staat nach Einstreichung der Gelder die Aufnahme der Einwanderer in dem Augenblick verweigern, in dem die Landung stattfinden sollte? - Was ich daraufhin alles unternahm an Schreibereien, Bittgängen und telegraphischen Hilferufen, weiß ich nicht mehr. Der Erfolgs war jedenfalls gleich null.
 
Kuba bleibt unerbittlich
Während der fünftägigen Liegezeit in Havanna durften keine Passagiere an Land. Und ihre zahlreich zur Begrüßung in der Hauptstadt eingetroffenen Verwandten durften nicht an Bord. Lediglich der Sohn des auf See verstorbenen Herrn Weiler erhielt durch meine Fürsprache und Garantie die Erlaubnis, seine Mutter zu besuchen. Aber nicht eine der vielen Bittschriften konnten die Regierung veranlassen, die Landung zu gestatten. Kein Komitee, kein einflussreicher Amerikaner, niemand vermochte sie umzustimmen. Kuba blieb unerbittlich. Den Grund habe ich nie erfahren. Ich nahm einen Rechtsbeistand und verklagte die Regierung. Dem Rechtsanwalt sagte ich: meiner Meinung nach wäre das Verhalten der Regierung vergleichbar dem eines Mannes, der einen Gast zum Essen einlädt und ihn bei seiner Ankunft erst auf dem Vorplatz warten und dann hinauswerfen lässt. Ich antichambrierte im Palast und im Regierungsgebäude, bat um eine Audienz, wurde jedoch nicht vorgelassen, ebensowenig wie Herr Clasing, der dortige Agent der Hamburg-Amerika Linie. Ein Vertreter des “Joint Committee” versicherte den Enttäuschten nunmehr, dass trotz dieser Schwierigkeiten alles Menschenmögliche getan werden würde, um ihre Rückkehr nach Deutschland zu verhindern. Dieser Ausspruch “Rückkehr nach Deutschland” hätte nicht fallen dürfen. Das war ein psychologischer Fehler! Ein Jurist, Dr. Max Loewe, schnitt sich die Pulsadern durch und ließ sich über Bord fallen, merkwürdigerweise an der gleichen Stelle, an der schon eine Bestattung und ein Selbstmord stattgefunden hatten. Aber zwei meiner wackeren Matrosen sprangen sofort nach und brachten den für seinen Tod kämpfenden so schnell wieder an Bord, dass Dr. Glauner ihn noch retten konnte. Sein Zustand und der Verdacht, er sei geisteskrank, erregten Mitleid. Man ließ ihn an Land und in ein Hospital überführen. Aber ich konnte nicht durchsetzen, dass Frau und Kinder Dr. Loewe begleiteten. Die kubanische Einwanderungsbehörde blieb hartherzig, was ich ihr sehr deutlich zu verstehen gab bei der Übergabe eines erneuten Gesuches mit dem Vorschlag, die Emigranten in einer kleinen Stadt oder auf einer kleinen Insel unterzubringen.
Als Antwort kam ein Ultimatum. Ich hätte den Hafen sofort zu verlassen, widrigenfalls man das Schiff mit Gewalt hinausbringen würde. Noch einmal fuhr ich an Land und setzte mit Hilfe des dort amtierenden deutschen Diplomaten eine Verschiebung der Abfahrt auf den nächsten Tag durch, um Wasser und Proviant übernehmen zu können. 
An Bord ließ ich folgende Bekanntmachung anschlagen:
“Die kubanische Regierung zwingt uns, den Hafen morgen zu verlassen. Mit der Abfahrt, die auf 10 Uhr festgesetzt ist, sind die Verhandlungen keinesweg abgebrochen; sie ist die Vorbedingung für das Eingreifen des Komitees. Die Schiffsleitung bleibt in Verbindung mit sämtlichen Organisationen und amtlichen Stellen und sucht mit allen Mitteln eine Landung zu erreichen. Wir werden in der Nähe der amerikanischen Küste bleiben.”
Ein weiterer Anschlag lautete:
“Die Schiffsleitung hat die nachstehend benannten Herren gebeten, die Interessen der Passagiere wahrzunehmen: Dr. Weiß, H. Manasse, Rechtsanwalt Dr. Joseph, Rechtsanwalt Dr. Zellner, Rechtsanwalt Dr. Hausdorff. Diese Herren werden durch die Schiffsleitung von allen Maßnahmen laufend unterrichtet. Die Passagiere werden gebeten, sich nur auf Mitteilungen zu verlassen, die von der Schiffsleitung durch das bestehende Komitee bekannt gegeben werden.”
Und an meine Ressortchefs erging folgendes Schreiben:
“Die ungeklärte Lage, in der sich unsere Passagiere befinden, bringt es mit sich, dass die Stimmung sehr gespannt ist. Es muss alles getan werden, sie zu beruhigen. Bisher ist es unserem Personal gelungen, die gute Form den Passagieren gegenüber zu wahren. Achten sie bitte ständig darauf, dass alle Besatzungsmitglieder den Passagieren in ruhiger höflicher Form begegnen. Auf Fragen nach dem nächsten Hafen ist stets mit einem Hinweis auf die ausgehängten Bekanntmachungen zu antworten. - Jedes Besatzungsmitglied muss über diese Instruktionen informiert werden.”
Alle drei ausgeführten Schriftstücke sind etwas gekürzt wiedergegeben.

Von Florida nach Auschwitz - oder: Heimatlos auf hoher See (Gustav Schröder 1949, Kapitel 1-2)

Worum es sich handelt
Die “St. Louis” der Hamburg-Amerika Linie sollte fahrplanmäßig im Juni 1939 von New York aus Vergnügungsreisen durchführen. Vorher jedoch, im Mai, wurde sie für die Beförderung von neunhundert Emigranten nach Havanna angesetzt. Diese Reise gestaltete sich infolge eines Landungsverbotes der kubanischem Regierung zu einem aufsehenerregenden Erlebnis für das ganze Schiff und wurde von der Weltpresse mit weit größerer Teilnahme verfolgt als frühere kleinere Unternehmungen dieser Art.
Das dramatische Schauspiel des Holländers Jan de Hartog “Schipper naast God”, das Rolf Italiaander unter dem Titel “Schiff ohne Hafen” ausgezeichnet übersetzt und für die deutsche Bühne bearbeitet hat, rief mir jene durch den großen Krieg schon in Vergessenheit geratenen Ereignisse wieder in die Erinnerung zurück. Ich weiß nicht, welche Begebenheit den Dichter zu diesem Drama angeregt hat, dessen Schauplatz ein kleiner holländischer Dampfer mit einhundertsechsundvierzig Emigranten ist. Der für diese Menschen verantwortliche Kapitän stellt nach mehreren gescheiterten Landungversuchen fest, dass kein Land seine unglücklichen Passagiere aufnehmen will und versenkt sein Schiff in der Nähe der nordamerikanischen Flotte, um die Kriegsschiffe zu zwingen, die Heimatlosen als Schiffbrüchige zu retten und an Land zu bringen. Das Schauspiel gibt die verzweiflungsvolle Stimmung der Emigranten, die Schwierigkeiten und Sorgen der Schiffsleitung, wie auch ich sie durchgekostet habe, ausgezeichnet wieder und wirkt trotz sparsamster Mittel hochdramatisch und erschütternd.
Ich will mit dem folgenden Tatsachenbericht keineswegs mit der künstlerischen Leistung des Dichters wetteifern, sondern es soll rein sachlich und chronologisch festgehalten werden, was ich als Kapitän der “St. Louis” mit den neunhundert Emigranten erlebte. Ich lege Wert darauf, dass bekannt wird, dass das holländische Schauspiel keine Darstellung der Reise der “St. Louis” ist, wie viele infolge von Zeitungsnotizen, die sich widersprachen, glauben. Die in diesem Drama auftretende Besatzung lässt sich zu tätlichen Übergriffen auf die Passagiere hinreißen, was auf der “St. Louis” nicht vorgekommen ist, so dass ihnen an Bord kein Haar gekrümmt wurde. Die Auslandspresse gab es zu.
Fahrt über den Ozean
Schon bei der Abfahrt der “St. Louis” von Hamburg sprach es sich herum, dass die Landung in Havanna vielleicht Schwierigkeiten machen würde, obgleich jeder Passagier eine von einer kubanischen Einwanderungsbehörde unterzeichnete Einreise-Erlaubnis besaß, für die er bezahlt hatte. Man munkelte von innenpolitischen Störungen und Veränderungen, durch die eine Landung verhindert werden könnte. Unter den Fahrgästen herrschte also von vornherein eine etwas nervöse Stimmung. Trotzdem waren anscheinend alle davon überzeugt, dass sie Deutschland nie wieder sehen würden. Rührende Abschiedsszenen spielten sich ab. Manchem sah man eine freudige Erleichterung an, andere verließen ihre alte Heimat schweren Herzens.
Schönes Wetter, reine Seeluft, gutes Essen, aufmerksame Bedienung erzeugten aber doch bald die auf langen Seereisen übliche sorglose Stimmung. Selbst kummervolle Eindrücke des Lebens an Land verblassen schnell auf See und werden zu Träumen. Ein gastliches Schiff mitten auf dem weiten Ozean und noch dazu in einer Gegend, in der ruhiges ausgeglichenes Wetter herrscht, ist eine andere Welt. So war es auch hier. Zuversicht und Hoffnung blühten und niemand regte sich auf.
Als wir uns dem Ziele näherten, warf die große Stadt, der wir zustrebten, schon einige Schatten zu uns herüber. In Telegrammen tauchten Andeutungen über Landungschwierigkeiten auf. Hinzu kam, dass ein alter Lehrer, Moritz Weiler mit Namen, erkrankte und apathisch wurde. Es brach ihm das Herz, dass er auf seine alten Tage von dort fortmusste, wo er sein Leben lang mit den Kollegen in bestem Einvernehmen gearbeitet hatte. Der Schiffsarzt, Dr. Glauner, führte mich zu dem Kranken. Da spürte man keinen Lebensmut mehr. Moritz Weilers letzter Wunsch war, auf hoher See zu sterben. Er verschied noch am gleichen Tage. Gemeinsam mit der Witwe sandte ich ein Telegramm an den in New York lebenden Sohn, damit er nach Havanna käme, um der Mutter beizustehen.
Die Fahrgäste befürchteten, dass eine an Bord befindliche Leiche die Landungsschwierigkeiten verschärfen könnte. So wurde der Verstorbene im Einverständnis mit der Witwe nachts in aller Stille versenkt. Leider blieb es nicht bei diesem einen Toten, denn kaum war die Bestattung beendet, kaum liefen die Motoren wieder, als ein junger Balte, der mit seinem Bruder zusammen in der Küche arbeitete, an derselben Stelle über Bord sprang, an der der Sarg an der Reling gestanden hatte. Ich drehte das Schiff sofort um, ließ ein Boot aussetzen, das ganze Gebiet mit Scheinwerfern ableuchten, - vergebens. Unser Boot fand nur die mit einem Wasserlicht versehene Rettungsboje wieder. Den Bruder musste man festhalten und einschließen, da auch er seinem Leben ein Ende machen wollte.
Fortsetzung folgt.

 

Im Flüchtlingsboot von Florida nach Auschwitz: Die Erinnerungen des Kapitäns der St. Louis

Andere Namen, andere Orte - Menschen flüchten um ihr Leben und niemand will sie aufnehmen. Vor Kriegsbeginn 1939 reisten über 900 jüdische Flüchtlinge auf dem Schiff St. Louis aus Deutschland aus. Viele von ihnen hatten schon die Grauen der KZ´s erlebt. Die Kinder an Bord spielten nach den Erinnerungen des Kapitäns Gustav Schröder nicht "Verstecken" oder "Fangen", sondern "Juden haben keinen Zutritt". 

Sie lagen schon im Hafen von Havanna und in einem US-Hafen in Florida, doch sie mussten zurück aufs Meer, zurück nach Europa, zurück zu ihren grausamen Verfolgern. Gustav Schröder, der Kapitän, viele Politiker, Journalisten und Freunde der unglücklichen Passagiere konnten doch noch das Schlimmste, die Rückkehr nach Deutschland, abwenden. Holland, Belgien und Großbritannien ließen die unglücklichen Menschen in ihr Land. Dort wurden sie dann doch zum Teil Opfer des erbarmungslosen Hasses auf Juden und starben nach Beginn des Krieges in den KZ´s und Vernichtungslagern. 

Amerika änderte seine Meinung und die wenigen Überlebenden durften doch noch kommen, als die Gefahr vorüber war. Viele Jahrzehnte später trafen die Überlebenden den letzten Verwandten des Kapitäns Gustav Schröder.

Dieser mutige Kapitän war nicht gleichgültig, sondern Mensch geblieben und hatte Mitleid nach dem biblischen Wort: was ihr dem Geringsten unter euch tut, das tut ihr für mich. Schröder verstand sich als Team-Player und war fest entschlossen, die ihm anvertrauten Passagiere sicher außerhalb Deutschlands an Land zu bringen. Sein Plan B sah vor, das Schiff vor England auf Grund zu setzen, um so die Aufnahme der Flüchtlinge als Schiffbrüchige zu erzwingen.

Als die Überlebenden in den neunziger Jahren in New York den Kapitän Schröder über alles lobten, tat der bescheidene Neffe Rudolf Schröder die Zivilcourage als Selbstverständlichkeit ab. Doch die ehemaligen Flüchtlinge und Todeskandidaten der Nazis widersprachen Schröder-Junior: "Ohne Gustav Schröder wären wir alle hier nicht mehr hier."

In Erinnerung an die Zivilcourage eines deutschen Helden angesichts von Hass auf Menschen, die anders sind, und angesichts von allgemeiner Gleichgültigkeit möchte ich an dieser Stelle die Erinnerungen des Kapitäns an diese Reise von Florida nach Auschwitz veröffentlichen. Denn Hass auf andere und Gleichgültigkeit gegenüber Flüchtlingen sind heute fast achtzig Jahre später immer noch verbreitet. Zum Glück ist die Mehrheit der Menschen noch einigermaßen besonnen und hat Mitleid. Diese Veröffentlichung ist daher auch ein Weckruf zu Besonnenheit und Mitleid und Zivilcourage, gerade jetzt, wo überall in Europa und in Deutschland Angst zu Hass, Gewalt und Gleichgültigkeit verführen. Angst war, ist und wird immer ein schlechter Ratgeber sein.

Der Kapitän schrieb diese Erinnerungen 10 Jahre nach den Ereignissen nieder, als der Krieg und die Nazi-Herrschaft zu Ende waren. Sein Büchlein ist 1949 im Becherdruck-Verlag in Berlin erschienen. Es scheint keinen Becher-Verlag mehr und auch keine Verwandten von Gustav Schröder zu geben. Daher habe ich mich entschlossen, diese Erinnerung auf eigene Faust als Dokument der Zeitgeschichte wieder zu veröffentlichen.

Falls trotz meiner Nachforschungen doch noch ein Rechtsnachfolger für dieses Dokument leben sollte, so bitte ich freundlich um Kontaktaufnahme und erkläre vorab meine volle Bereitschaft, die vorhandenen Eigentumsrechte des Rechtsnachfolgers zu respektieren.  

 

Europäer flüchten auch: in die USA, alle Jahre, alle Zahlen

Flüchtlinge gab und gibt es schon immer. Besonders viele, als es in Europa besonders furchtbar war: Kriege, Hungersnöte, Armut... Man nennt das die Abstimmung mit den Füßen.

Besonders anschaulich ist die Animation bei den folgenden Einstellung

  • Migrants to US p.a.
  • Log
  • Color: unique
  • Size: Migrants to US p.a.
  • Trails ohne Haken

siehe Beispiel-Einstellungen unten auf dem Bild

 

Flüchtlinge aus Europa

Team Building in Saudi Arabien

Team Building Extreme betreiben diese Jugendlichen in Saudi Arabien. Während der Fahrt und barfuß wechseln sie die Reifen. Ein sehr eingespieltes Team. Die Anfrage, ob sie während der Fahrt auch Öl wechseln könnten, läuft noch. Solche Car Stunts, auch Drift Driving genannt, sollen in Saudi Arabien ziemlich populär sein.  Hoffentlich sitzt ein Mann am Steuer. Frau am Steuer wird mit Gefängnis und Peitsche bestraft. Obwohl das Video schon länger auf Youtube die Runde dreht, scheint niemand zu wissen, welches Strafmaß für diese Art des Team Building  ausgeschrieben ist.